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Ballade von der Geschmackspolizei

oder: Lob der Regierung

Was kommt da hinten angerast
in tiefschwarz technisierter Hast?
Was heult für ein Sirenenton
durch diese Siedlung, wo ich wohn?
Was bremst jetzt hart und stellt sich quer?
Ein Turbopanzerwagen schwer!
Und wer steigt aus? Ich schaue schärfer
- die Leute haben Flammenwerfer!

Frau Müller aus dem sechsten Stock
rennt aus dem Haus im Morgenrock,
und laut gellt ihr Entsetzens-Schrei:
Zu Hilfe! Die Geschmackspolizei!

Sie stürzt sich auf ihr Blumenbeet
und rafft zusammen, was halt geht:
den Gartenzwerg, sein Gießekännchen,
den Schubkarrn von dem armen Männchen,
die Silberkugel samt dem Ständer,
die Lichterkette vom Geländer,
und fast gelänge ihr die Flucht,
da trifft sie was mit voller Wucht
und explodiert. Schon weiß ich, was:
"Aha... Granate... - Tränengas!“

Tatsächlich. Schon entfällt der Tand
Frau Müllers schwer beringter Hand,
und eine Flamme, blauweiß grell
schmilzt Zwerg und Plastikkitsch blitzschnell.
Am Hause hängt ein Nikolaus,
in Lebensgröße - aus die Maus!
Ratz-fatz verschmort auch er, und, fein:
jetzt könnt er Archipenko sein.

Dann sprengt ein Tritt die Wohnungstür.
Der nächste Schritt ist ganz natür-
lich: alle weißen Häkeldeckchen
verwandeln sich in schwarze Fleckchen.
Geblümter Vorhang? – abgerissen!
Motiv-Wandteller? – weggeschmissen!
Die Funzel, die ein Negerlein
aus Plastik trägt: man schlägt sie ein,
der Jaguar aus Porzellan
ist gleich danach nicht besser dran.

Nun taucht Frau Müllers Ehegatte
auf, der gern folgendes an hatte:
er trug Sandalen, dazu Socken!
Da bleibt - ganz klar - kein Auge trocken,
vor allem ist bezeugt: der Schuft
trug kurze Hosen zu der Kluft!
O Gottheiten des STILS, habt Dank:
man konfisziert den Kleiderschrank,
und unter Drohung, ihn zu schlagen,
muss er zehnmal "Versace" sagen.

Die weitere Aktion geht schnell:
verboten wird JE-DES Pastell,
und er, der zitternd unterschreibt,
beschwört, dass künftig fern er bleibt
von Paisleymustern, braunem Kord,
dass ihm sofort die Hand verdorrt,
wenn er je wieder Clip-Krawatten
anrührt, dass Fußabstreifermatten
kein Motto tragen dürfen, und
er liest auch nie mehr wieder Schund.
Ein Offizier verwarnt ihn wild:
"WEHE, du abonnierst die BILD... !"
Nur wählen darf er weiter frei.
Denn alle Parteien (außer rechtsaußen,
was zugegebenermaßen egal ist),
denn jedwede Lobby, jede Partei

haben fest im Programm
die Geschmackspolizei.

(Timmo Strohm)

 

 

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